Photos : raumlaborberlin
Beauftragt durch:
Bezirksamt Mitte von Berlin
Amt für Weiterbildung und Kultur Fachbereich Kunst und Kultur Programmleitung Stadtkultur und Kulturelle Bildung
Als Gewinner des Kunstwettbewerbs für das Gedenkortes Gütebahnhof Moabit wurde raumlabor mit der Realisierung beauftragt. Der Gedenkort wurde am 11 Juni 2017 eröffnet.
Der Ort
Wegsehen // radikaler Pragmatismus:
Der Besuch am ehemaligen Moabiter Güterbahnhof ist für uns zunächst ein Schock. Ein gepflasterter Weg zwischen Lidl und Hellweg, ein abgesenktes Stück verwilderte Wiese, ein halb zugewachsenes Gleis. Eine unvollständig angelegte, nicht nachvollziehbare Lindenallee. Hundekot. Direkt zum Weg gerichtet das große Schild „Hellweg – Ideen muss man haben“. Höllenweg. Der Ort wirkt wie die Inszenierung eines bitterbösen Kunstwerkes. Klarer, banaler, zynischer kann man das systematische Wegsehen, welches genau an diesem Ort vor 75 Jahren stattgefunden, hat nicht reinszenieren. Die völlige Abwesenheit von Empathie macht betroffen, traurig und ratlos. Liest man hierzu noch die von Alfred Gottwald zusammengestellten Zeitzeugnisse, denkt man sofort an die von Hannah Arendt beschriebene Banalitäten des Bösen. 34 Transporte. Menschen, die aus der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße durch halb Moabit, bis zum Güterbahnhof Moabit getrieben wurden. Über 32 000 Mitbürger, Nachbarn, Freunde, mit Sternen gekennzeichnet, schikaniert von den SS-Truppen. Dass das vor nur 75 Jahren an diesem Ort wirklich stattgefunden hat, ist heute auf eine Art unvorstellbar. Zweifel
Vielleicht sollte man diese traurige Prozession jedes Jahr zum Gedenken an einen der Transporte reinszenie- ren. Tausend Menschen, Freiwillige? Schüler? ziehen schweigend durch die Straßen zwischen dem Mahnmahl Le- vetzowstraße und dem Güterbahnhof? Am Ende stehen alle auf dem Hellweg zwischen Lidl und Baumarkt dicht gedrängt und ratlos. Zunächst sind
wir versucht die Trostlosigkeit dieses Ortes noch zu vertiefen, vielleicht eine Schranke aufzustellen, die den Depor- tationsweg zu jedem Jahrestag eines Deportationszugs versperrt. Doch Zweifel bringen uns immer wieder an den Ort zurück. Hier verstärkt sich un- ser Gefühl, dass ein Objekt an diesem Ort untergehen würde.
Alltag und Gedenken
Es gibt erstaunlich viel Alltagsleben hier: Spaziergänger, Hundebesitzer, Fahrradfahrer, Lidl-Kunden, die noch auf ein Bier auf der Mauer sitzen bleiben. Keiner scheint etwas von der Geschichte dieses Ortes Notiz zu nehmen. Im Alltag ist es ein merkwürdig suburbaner Raum, innere Peripherie. Der unter Denkmalschutz gestellte gepflasterte Deportationsweg, der kleine erhaltene Teilabschnitt des Gleises 69 und die Spundwände der ehemaligen Bahnsteige (Militärrampe) sind die einzigen authentischen Elemente, die es einem ermöglichen, sich das Drama der Deportation an diesem Ort vorzustellen. Der Erhalt dieser Elemente als bauliches Denkmal aber macht nur Sinn, wenn ein Besucher diese Elemente als Zeugnisse des Deportationsbahnhofs begreifen kann. Dies wiederum ist durch die Banalisierung der direkten Umgebung, durch Parkplätze, Baumarkt und die Art der Anbindung an die neu gebaute Umgehungsstraße fast unmöglich.
Entwurfskonzept
Sprachlosigkeit // Was soll der Ort erzählen?
Das Erschütternde, welches an diesem Ort stattgefunden hat, ist die Vertreibung von Mitmenschen aus der Zivilisation. Das gewaltsame Verladen der Menschen in die Güterwaggons stellt einen letzten Schritt der Entmenschlichung dar: Eine Vertreibung aus einer Zivilisation, die deshalb schon nicht mehr als solche bezeichnet werden kann, weil sie diese Vertreibung und Vernichtung ihrer Mitmenschen möglich macht. Wir schlagen vor, an diesem Ort kein Objekt zu installieren, welches die Aufmerksamkeit und Bedeutung auf sich zieht, sondern den gesamten Ort mit seinen sich widersprechenden Zeitschichten besser lesbar und erlebbar zu machen. Verschiedenen Schichten der Vergangenheit überlagern sich am ehemaligen Güterbahnhof wie in einer unfertigen, aber halb verwilderten und halb überbauten Ausgrabungsstätte. In unserem Entwurf versuchen wir diesen Ort in seiner heutigen Absurdität zu akzeptieren,
die einzelnen Zeitschichten lesbar zu machen und dem Ort trotz all seiner Unwirtlichkeit so etwas wie Würde
zu geben. Hierzu schlagen wir drei Maßnahmen vor:
Deportationsweg und Gleis 69
Das bauliche Denkmal Deportationsweg Gleis 69 und Überreste der Militärrampe wird von Vegetation befreit und durch eine klar ausgebildete Kante von der Restfläche, bis zur Ellen-Epstein-Straße getrennt. Hinter dieser Schwelle wird eine andere Zeitschicht sichtbar. Die in jüngster Vergangenheit gebaute, gepflasterte Rampe und die banalen Betonfertigteilstützwände, die das Geländeniveau zu den angrenzenden Parkplatzflächen vermitteln, bleiben erhalten. Diese Zeugnisse eines pragmatischen Umgangs mit einem historisch belasteten Ort haben aus unserer Sicht als Zeitschichten auch eine Bedeutung. Die Linden, die die als Ausgleichmaßnahme gepflanzt wurden, werden entfernt.
Kiefernhain
Wir schlagen vor einen Hain von 24 Waldkiefern zu pflanzen und das Gedenkfeld damit aus seiner Umgebung heraus zu heben. Die Kiefern stehen dicht, mit den Jahren wachsen sie weit über die angrenzenden Baukörper hinaus. Es entstehen ein weithin sichtbarer klar definierter Raum. Als deplatziertes Fragment eines Kiefernwaldes in diesem unwirtlichen Kontext, entsteht eine Verbindung zu Landschaft. Genau wie das Fragment des Gleises 69 eine Verbindung zu den Orten der Ausgrenzung und Vernichtung herstellt, die noch heute als authentische Orte existieren.
Wachsendes Mahnmal
Gleichzeitig entsteht ein Schutzraum, ein Ort der sich absetzt, ein Raum in den man eintreten kann, mit einer ei- genen Atmosphäre, dem Geruch nach Wald, Nadeln und Zapfen. Ein Ort der über die Jahre an Qualität und Sichtbarkeit zunimmt. Die Kiefern werden mit einer Höhe von 5-7m gepflanzt. Die Kronen Kiefern verbinden sich mit der Zeit zu einem lichten Dach. Nach 30 Jahren werden sie eine Höhe von 30-35m erreichen.
In den ersten 10 Jahren werden die Stämme bis zu einer Höhe von 4m durch einen Kalkanstrich geweißt. Es entsteht im Kontrast zur Umgebung eine Künstlichkeit die den Ort sichtbar macht. Die weißen Stämme wirken wie Grenzpfähle und verstärken den Eindruck ein Feld zu betreten und zu durchqueren. Ein weiterer wichtiger Aspekt eines wachsenden, lebenden Mahnmals ist die Tatsache, dass es seine Gestalt verändert und auch Pflege braucht. Die saisonal übliche gärtnerische Pflege, die ohnehin an diesem Ort statt finden würde, wird Teil des Mahnmals und somit zu einer rituellen Handlung.
Informationstafeln Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße
Bezug Mahnmal Levetzowstraße und Putlitzer Brücke: Wir sehen das von uns vorgeschlagene Mahnmal als eine Art Übersetzung oder Spiegelung des Mahnmals Levetzowstraße. Die von uns geschaffene Schwelle rahmt den authentischen Ort der Deportation, ohne den Einstieg in die Güterwagen erneut zu verbildlichen. Die Gedenkstätte Levetzowstraße bleibt für uns zentraler Gedenkort. Alle Elemente sprechen heute noch, jeder kann den massiven Waggon aus Marmor und Stahl in Gedanken mit auf den Weg zum Güterbahnhof nehmen. Die Au istung der Transporte und die in Stahl gegossenen Bilder der 32 Berliner Synagogen, all das ist hier komprimiert. Analog zur Levetzowstraße schlagen wir die Positionierung zweier Gedenktafeln aus Cortenstahl vor, je am ursprünglichen und am neu geschaffenen Zugang von der Ellen-Epstein-Straße. Vorausgesetzt dass die genaue Ausgestaltung der Inhalte in Abstimmung mit dem Verein „Sie waren Nachbarn“ und der Stiftung Topographie des Terrors erarbeitet werden sollte, sehen wir als mögliche Inhalte für die Stahltafel an der Quitzowstraße einen Plan des Weges der Deportierten durch Moabit zum Güterbahnhof, ein Zitat eines Zeitzeugen und eine Beschreibung der Deportationen.
Für die Stahltafel an der Ellen-Epstein-Straße schlagen wir eine Beschreibung des Umbaus des Güterbahnhofes zum Gewerbegebiet sowie einen Grundriss der ursprünglichen Gleisanlage vor. Auch hier fänden wir die Präsenz eines Zitates eines Zeitzeugen wichtig, da diese Perspektive noch an keinem der Gedenkorte zu Judendeportation in Moabit vorkommt. Ähnlich wie die Reste der Militärrampe und die ausgegrabenen Schienen sind die Zitate authentische Spuren, die den Besuchern einen direkte Verbindung mit dem Ort ermöglichen. Außerdem sollte ein Verweis auf den Gedenkort Levetzowstraße vorhanden sein. Von der von Volkmar Haase errichteten Skulptur auf der Putlitzbrücke wird der Kiefernhain und damit die Position des Deportationsweg gut sichtbar sein.